Das einst in einer Kirche angebrachte Tabernakelrelief aus Marmor stammt aus Oberitalien und wird auf das Ende des 15. Jahrhunderts datiert. Ein Tabernakel dient dazu, die Gefäße für die geweihten Hostien – nach katholischer Lehre der Leib Christi – sicher aufzubewahren. Dafür besitzen die meist aufwendig gestalteten Tabernakel in ihrer Mitte eine Nische oder ein kleines verschließbares Fach. Besonders qualitätvoll bei unserem Tabernakel ist die Darstellung der optisch verkürzten Portalnische, die von einem mehrfach kassettierten Tonnengewölbe eingefasst wird. Die zwei Medaillons in den Ecken zeigen im Profil links den Erzengel Gabriel mit einem Lilienstängel, rechts Maria. Auf der Höhe des Deckengewölbes befinden sich auf der linken Seite eine Äbtissin mit Krummstab und auf der rechten Seite ein ritterlicher Heiliger mit Standarte und einem Schild, möglicherweise der Heilige Georg. Darunter wird das heute leider fehlende Behältnis von vier betenden Engeln gerahmt. Die Pfeiler, vor denen sich jeweils zwei Engel befinden, sind floral verziert und greifen die Blumen wieder auf, welche den beiden Füllhörnern im Sockelbereich entwachsen. Ursprünglich war dieses Tabernakel mit Rot, Blau und Gold bemalt. Von diesen Farben lassen sich heute jedoch nur noch kleinste Reste nachweisen. Das Tabernakelrelief ist beispielhaft für die Umsetzung der im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entdeckten Zentralperspektive. Diese imitiert Räumlichkeit auf einer ebenen Fläche, indem alle nach hinten verlaufenden Linien zu einem Fluchtpunkt führen. Zusätzlich wird der räumliche Effekt durch parallele Bildränder, in diesem Fall die Pfeiler, geschaffen. Der Effekt wird verstärkt, wenn sich das Kunstwerk auf der Augenhöhe der Betrachter/-innen befindet. Die Komposition mit der Kassettendecke und den rahmenden Figuren erinnert an das berühmte Dreifaltigkeitsfresko von Masaccio aus den Jahren 1425 bis 1428 in der Kirche Santa Maria Novella in Florenz.
Ankauf von Gustav Werner, Leipzig, 1907